Im Mai wird bestäubt

Tulpenveredlung ist eine Kunst für sich

Handarbeit

Mitte Mai geht die Saison für Tulpen langsam zu Ende. Wer glaubt, die Gärtner, die über ein halbes Jahr lang unermüdlich in den Gewächshäusern gearbeitet und aus Zwiebeln Schnittblumen gezogen haben, könnten sich nun auf die faule Haut legen, der irrt. Die meisten der Tulpengärtnereien in den Niederlanden sind Mischbetriebe. Das heißt, sie bauen die Blumenzwiebeln für ihre Schnitttulpenproduktion im Freiland selber an: Im Sommer müssen die im Herbst gepflanzten Zwiebeln geerntet werden. Nachdem man sie sortiert und gesäubert hat, kommen sie in riesige Kühlhäuser. Ab November werden sie nach und nach wieder gepflanzt – diesmal dann unter Glas. Auch innerhalb der Gewächshäuser geht die Arbeit nach dem Saisonende weiter: Betriebe, die züchten, sich also um die konsequente Weiterentwicklung des Sortimentes bemühen, die kreuzen, selektieren und in langjährigen Prozessen neue Tulpen auf den Markt bringen, haben eigentlich nie Pause.

Beeindruckende Vielfalt

Blütenstaub

Mit etwa 15.000 unterschiedlichen Sorten gehört die Tulpe zu den variantenreichsten Blumen der Welt. Es gibt sie mit unendlich vielen Blütenfarben: Von Dunkelviolett über Knallrot, Gelb und Orange bis hin zu Pastelltönen und Weiß reicht die Palette. Sogar mehrfarbige und interessant gemusterte Varianten sind heute erhältlich. Und auch bei der Blütenform finden sich deutliche Unterschiede: Neben den sogenannten Einfachen Tulpen gibt es die eleganten Lilienblütigen, deren schlanke Blütenkelche nach oben spitz zulaufen, oder die Gefüllten, die mit ihrer Vielzahl an Blütenblättern an Pfingstrosen erinnern und häufig auch mit einem zarten Duft beeindrucken. Bei dieser enormen Vielzahl müsste man meinen, das Tulpensortiment wäre längst ausgereift, aber offensichtlich gibt es immer noch Herausforderungen – z.B. ist es noch nicht gelungen, blaue Tulpen zu züchten. Außerdem braucht das Sortiment stets Verjüngung, da auch eine beliebte Sorte nicht über Jahrzehnte kultiviert werden kann.

Besseres erhalten

Im Jahr eins

Bei Vertuco, einem Zusammenschluss von fünf Gärtnereien in Nordholland, beschäftigt sich Arjen Rood seit 1990 mit der Veredlung von Tulpen. „Jede neue Blume, die wir auf den Markt bringen, muss besser sein, als das, was es schon gibt”, betont er. Das Wichtigste beim Veredeln sei das Wegwerfen, also die Selektion. Nur wer sich von viel trennt, könne am Ende Besseres behalten. Gekreuzt wird mit viel Fingerspitzengefühl per Hand mit einem Pinsel. Dies geschieht in der zweiten Maihälfte, mit Blütenstaub von Tulpen, die im Freiland stehen. Denn diese entwickeln mehr Pollen als die Zwiebelblumen unter Glas. Bestäubt wird aber unter den geschützten Bedingungen im Veredlungsgewächshaus. Danach entwickeln die Tulpen dicke Samenstände und das Roulette beginnt …

Im Jahr eins nach der Kreuzung erinnern neue Tulpen, die durchnummeriert in kleinen Partien in Pflanzkisten wachsen, eher an Schnittlauch. Aber bereits in diesem Stadium wird selektiert. Der Spezialist weiß, wie sich eine gute Tulpe entwickelt. Bis zur ersten Blüte vergehen oft fünf bis sieben Jahre und bis dahin ist viel aussortiert und kompostiert worden. Züchtungsziel sind Tulpen, die sich perfekt als Schnittblume für die Vase eignen. Stiellänge, Gewicht, Form und Farbe der Knospen und Blüten und Gleichförmigkeit der Partie sind dabei wichtige Kriterien.

Arjen Rood

„Wenn wir zwei Gefüllte Tulpen miteinander kreuzen, dann liegt die Wahrscheinlichkeit bei 70 Prozent, dass wieder eine gefüllt blühende herauskommt. Aber auch die Überraschungen, die daneben erscheinen, sind der Mühe wert und können sehr vielversprechend sein”, weiß Rood. Auch wenn sein Beruf nicht gerade ideal für eine gute Work-Life-Balance ist, liebt er ihn. Während der ganzen Blühsaison, von November bis Mai, ist er täglich – auch samstags und sonntags – in seinem Veredlungsgewächshaus, immer auf der Suche nach DER Bereicherung für das Sortiment. Insgesamt hat Vertuco bisher über 200 neue Tulpen mit eigenem Namen bei der „Königlichen Allgemeinen Vereinigung Blumenzwiebelkultur” (KAVB) registrieren lassen und auf den Markt gebracht.